Die Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrt im Rhein-Sieg-Kreis diskutierte mit den Spitzenkandidaten zu den Landrats- und Kreistagswahlen. Im Vordergrund standen die Themen Wohnen, Pflege, Subsidiarität und die Corona-Folgen. „Ich freue mich, dass die Kandidaten unsere Sorgen teilen und mit uns über Lösungen diskutieren“, so das Fazit von Patrick Ehmann, derzeitiger Sprecher der AG Wohlfahrt im Rhein-Sieg-Kreis und Geschäftsführer der Diakonie An Sieg und Rhein.
Prekäre Wohnraumsituation
„Die Wohnungssituation im Rhein-Sieg-Kreis ist prekär“, bemängelte Ehmann. Menschen mit Behinderungen oder niedrigem Einkommen haben es schwer, eine bezahlbare Wohnung zu finden. „Dies ist auch ein wesentliches Hindernis für die Enthospitalisierung von stationär untergbrachten Klientinnen und Klienten“, ergänzte Katja Ruiters von der AWO Bonn/Rhein-Sieg. Bis zum Jahr 2030 braucht es 30.000 neue Wohnungen, so der Bericht „Wohnen und Leben im Rhein-Sieg-Kreis“ aus dem Jahr 2019. Reiner Mathes, Geschäftsführer des Paritätischen im Rhein-Sieg-Kreis, brachte das Beispiel von Frauen, die mangels Wohnung nicht aus dem Frauenhaus ausziehen können.
Zwar sei die Bautätigkeit zuletzt gestiegen, aber „es reicht nicht“, räumte Landrat Sebastian Schuster ein. Der Kreis helfe, aber die Ausweisung von Bauland liege nun einmal in der Hand der Kommunen, erläuterte der CDU-Politiker. Ähnlich argumentierte Wilhelm Windhuis (Bündnis 90/Grüne): „Die Hauptverantwortung liegt bei den Kommunen“. Zugleich betonte er, dass er die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft für den Rhein-Sieg-Kreis (GWG) nutzen möchte, um Bautätigkeit zu forcieren.
Die SPD habe das Thema Wohnen bereits stark forciert, nahm ihr Landrats-Kandidat Denis Waldästl in Anspruch. So ist auch er dafür, dass die GWG in die Lage versetzt wird, mehr zu bauen. Und diese Wohnungen sollten auch in öffentlicher Hand bleiben, um langfristig preisgünstigen Wohnraum zur Verfügung stellen zu können. Auch für Michael Otter von den Linken ist angesichts der „großen Herausforderung“ eine Lösung über die GWG „ein guter Ansatz“. Christian Koch (FDP) betonte dagegen: „Der Kreis kann moderieren, aber nicht verordnen.“
Politik müsse Lösungen schaffen, statt sich gegenseitig die Verantwortung zuzuschieben, kommentierte Michael Otter (Linke): Als Landrat müsse man die Beteiligten an einen Tisch bringen. Waldästl betonte, dass es aufs Wollen ankomme. Enger Austausch zwischen Kreis und Kommunen bestehe sehr wohl, stellte Landrat Schuster fest. Den Vorwurf, nichts zu unternehmen, könne er nicht stehen lassen. Aber er habe nun einmal keine Druckmittel gegen Kommunen.
Pflege muss ganzheitlich angegangen werden
Für mehr „Staat“ plädierte beim zweiten Gesprächsthema Pflege SPD-Landratskandidat Denis Waldästl. Es gelte Gesundheit und Pflege gemeinsam zu betrachten und an die Gründung eines kreiseigenen Pflegedienstes und einer kreiseigenen Pflegeschule zu denken, erklärte er angesichts der Prognose, dass der Anteil alter und sehr alter Menschen stark wachsen wird.
Ein Weg, den Landrat Schuster keinesfalls mitgehen möchte, trotz aller Sorge um die Gefahr eines Pflegenotstands. Im Blick auf Fragen der Pflege setzt er auf die umfassende Sozialplanung und eine „vernünftige Bezahlung von Pflegekräften, keine Frage“. Gegen eine „bürokratische“ Struktur sprach sich auch Christian Koch aus. Neben dem Hauptamt gelte es außerdem, funktionierende soziale Strukturen vor Ort zu erhalten und zu fördern, also die Hilfen von Freunden, Familien und Vereinen untereinander.
Theresia Engel, Fachbereichsleiterin Ambulante Pflege und Betreuungsdienste der Caritas Rhein-Sieg, berichtete aus der Praxis, dass viele Ausbildungsplätze unbesetzt blieben. „Das eigentliche Problem liegt in der Gewinnung von Menschen für Pflege.“
Klares Bekenntnis zur Subsidiarität
„Ich stehe zu 100 Prozent zum Subsidiaritätsprinzip.“ Damit habe er nur gute Erfahrungen gemacht, so Schuster. „Freie Trägerschaft geht mir immer vor.“ Das Subsidiaritätsprinzip meint den prinzipiellen Vorrang freier, gemeinnütziger Träger vor staatlicher Sozialarbeit. Ähnlich FDP-Politiker Koch: Subsidiarität garantiere Vielfalt und dürfe nicht als Kostensparmaßnahme eingesetzt werden. Auch der Grüne Windhuis setzt weiterhin auf eine gute Zusammenarbeit zwischen Sozialverwaltung und Freier Wohlfahrt.
In der Pflege sei es aber nicht immer leicht, einen Träger zu finden – und zwar einen ohne Gewinnmaximierungsabsicht, wandte Waldästl ein. An die „sehr leidvolle Geschichte“ des Trienekens-Skandals und der deshalb erfolgten Rekommunalisierung der Abfallwirtschaft erinnerte Linke-Politiker Otter.
Sorge über langfristige soziale Folgen von Corona
„Große Sorgen“ bekundete der amtierende Landrat Schuster wegen der Folgen der Corona-Pandemie im Bereich der sozialen Sicherung. Denis Waldästl machte den SPD-Vorstoß für eine bundesweite Kompensation für die Kommunen wegen ausfallender Gewerbesteuern stark. Auf die Frage zum Verhältnis von Ökologie und Sozialem erklärte der Grünen-Spitzenkandidat für den Kreistag Windhuis: „Natürlich ist uns die Ökologie wichtig.“ Angesichts der Ausnahmesituation der Corona-Pandemie könnten soziale Aspekte aber den Vorrang bekommen.