Die Arbeitslosigkeit behinderter Menschen wirksam abbauen! Zu dieser Forderung finden Wohlfahrtsverbände deutliche Worte, darunter auch die AWO in NRW.
Bereits der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung und das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisierten in der Vergangenheit den Ausschluss von Menschen mit Behinderung vom allgemeinen Arbeitsmarkt. Auch der erste Teilhabebericht der Landesregierung von 2020 zeigte den Zusammenhang zwischen schlechten Ausbildungschancen, Arbeitslosigkeit bzw. geringer Bezahlung und Armutsgefährdung behinderter Menschen. Laut Teilhabebericht der Landesregierung kann nicht von einer gestiegenen „Inklusivität“ des Arbeitsmarktes gesprochen werden, im Gegenteil.
Junge Menschen mit Beeinträchtigung werden, trotz der Verpflichtung der Arbeitgeber, im Rahmen ihrer Beschäftigungspflicht einen „angemessenen Anteil“ ihrer Ausbildungsplätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen, schon beim Zugang zu regulären Ausbildungsplätzen benachteiligt. Und selbst für gut qualifizierte Menschen mit Behinderung bestehen in NRW weiterhin erhebliche Schwierigkeiten, einen regulären Arbeitsplatz zu finden. In der Folge ist die Zahl der schwerbehinderten Arbeitslosen in NRW entgegen dem allgemeinen Trend am Arbeitsmarkt langjährig angestiegen, darunter insbesondere die Zahl der Langzeitarbeitslosen, bei denen die durchschnittliche Dauer ihrer Arbeitslosigkeit ebenfalls stieg. Zugleich liegt die Zahl der unbesetzten (fehlbesetzten) Pflichtplätze (§ SGB IX) seit Jahrzehnten deutlich über der Zahl der schwerbehinderten Arbeitslosen.
Vor dem Hintergrund dieser Befunde wird deutlich, dass die bisherigen Aktivitäten und Maßnahmen der Landesregierung keinesfalls ausreichend sind, um die Situation von behinderten Menschen auf dem Arbeitsmarkt nachhaltig zu verbessern. Die negativen Entwicklungen in Bezug auf die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen dokumentieren vielmehr das Scheitern von Politiken, die einseitig auf förderpolitische Anreize, Best practice-Beispiele und Einsichtsfähigkeit von Arbeitgebern setzen. So zeigen die Beschäftigungsquoten öffentlicher und privater Arbeitgeber, dass vor allem private Arbeitgeber ihrer Beschäftigungspflicht nicht oder nicht ausreichend nachkommen. Wir fordern daher einen Strategiewechsel, der insbesondere auch die privaten Arbeitgeber wieder in die Verantwortung nimmt, ihren bestehenden gesetzlichen Pflichten zur Ausbildung und Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen endlich nachzukommen.
Wir sehen bei folgenden Punkten dringenden Handlungsbedarf:
1. Ausbildungsplätze mit schwerbehinderten Menschen
Wir fordern das Land auf, darauf hinzuwirken, dass öffentliche wie private Arbeitgeber ihrer ge-setzlichen Verpflichtung zur Ausbildung schwerbehinderter Menschen nachkommen und im Rah-men ihrer Beschäftigungspflicht3 einen „angemessenen Anteil“ ihrer Ausbildungsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzen. Dazu muss greifbarer werden, was unter dem „angemes-senen Anteil“ (§ 155 SGB IX) mindestens zu verstehen ist. Entsprechende Ausbildungsplatzange-bote müssen unter Hinweis auf die verfügbaren Unterstützungsinstrumente so kommuniziert wer-den, dass sie die Zielgruppen erreichen. Als ergänzende Maßnahme sollte die Landesqualifizie-rungsmaßnahme für Schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Menschen auf den Zuständig-keitsbereich der Kreise und Kommunen ausgedehnt werden
2. Umsetzung des geltenden Rechts zur Beschäftigungspflicht
Die Landesregierung sollte unter Ausschöpfung ihrer Möglichkeiten (auch mittels öffentlichkeits-wirksamer Kampagnen) auf die Umsetzung des geltenden Rechts (Beschäftigungspflicht) hinwir-ken. Dazu gehört auch die Pflicht des § 155 SGB IX, „in angemessenem Umfang“ die dort genann-ten Gruppen besonders betroffener Menschen sowie Ältere zu beschäftigen. Die Landesregierung sollte auch hier eine Position entwickeln und kommunizieren, was unter einem „angemessenen Umfang“ mindestens zu verstehen ist. Die Landesregierung sollte die Arbeitgeber und deren Ver-bände mit Nachdruck öffentlich auf ihre Beschäftigungspflicht hinweisen und unter Hinweis auf die vielfältigen Förder- und Unterstützungsangebote deren Erfüllung einfordern. Die Erfüllung der Beschäftigungspflicht sollte außerdem als Kriterium für die Vergabe öffentlicher Aufträge in das Tariftreue- und Vergabegesetz NRW eingeführt werden.
3. Missachtung der Beschäftigungspflicht ist bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit
Obwohl die Nichtbeschäftigung Betroffener eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit darstellt (§ 238 SGB IX), wird von dieser Vorschrift nie oder mindestens höchst selten Gebrauch gemacht, um so die Missachtung der Beschäftigungspflicht durch die Arbeitsgeber zu sanktionieren. Ge-genüber der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit und den (kommunalen) Trägern der Jobcenter sollte deshalb durch die Landesregierung darauf hingewirkt werden, dass exemp-larische Fälle der Nichterfüllung der Beschäftigungspflichten als Ordnungswidrigkeit nach SGB IX geahndet werden.
4. Abbau der Defizite bei Beratung, Förderung und Vermittlung in den Jobcenter
In den Jobcentern, die für deutlich mehr als die Hälfte der schwerbehinderten Arbeitslosen zu-ständig sind, bestehen gravierende Defizite bei der Beratung, Förderung, beruflichen Rehabilita-tion und Vermittlung behinderter und schwerbehinderter Menschen. So fehlen dort qualifizierte Reha/SB-Teams, wie sie bei den Arbeitsagenturen gesetzlich vorgeschrieben sind. Aber auch der Zielkonflikt zwischen dem SGB II (Vorrang rascher Vermittlung in irgendeinen Job) und den Reha-bilitations- und Teilhabezielen des SGB IX (dauerhafte Erwerbsteilhabe entsprechend Neigungen und Fähigkeiten) ist hier ein Hindernis. Wir fordern daher, dass die Landesregierung darauf drängt, dass alle Jobcenter unverzüglich mit qualifizierten Reha/SB-Teams ausgestattet werden, damit Reha-Bedarfe auch erkannt und gedeckt werden. Zudem sollte die Landesregierung darauf hin-wirken, dass die Träger das SGB II überall SGB IX-konform anwenden. Sollte dies nicht zielführend sein, wäre auf Bundesebene eine Änderung des SGB II zugunsten der Reha- und Teilhabeziele des SGB IX anzustreben.
5. Ausbau der Inklusionsunternehmen
Der Ausbau der Inklusionsunternehmen ist ein wichtiges Instrument zur Verbesserung der Er-werbsteilhabe behinderter Menschen. Wir fordern deshalb, dass die Förderung von „Inklusions-betrieben“, vorrangig Haushaltsmittel des Landes (möglichst auch des Bundes), deutlich verstärkt wird.
6. Barrierefreie Arbeitsstätten
Die Arbeitsplatzsuche behinderter Menschen wird auch durch das Fehlen von barrierefreien Ar-beitsstätten behindert. Wir fordern, die in der Arbeitsstättenverordnung ausdrücklich genannte Möglichkeit zu nutzen, in der Landesbauordnung entsprechende Barrierefreiheitsanforderungen für Arbeitsstätten vorzusehen.
7. Erhöhung der Ausgleichsabgabe
Auf Bundesebene sollte das Land unverzüglich den aktuellen Vorstoß des Bundesarbeitsministers für eine Verdoppelung der Ausgleichsabgabe für „Nullbeschäftiger“ aufgreifen und nachdrücklich unterstützen. Darüber hinaus sollte es für eine generelle Verdoppelung der Ausgleichsabgabe bei zusätzlicher Erhöhung für „Nullbeschäftiger“ sowie für eine Erhöhung der Beschäftigungspflicht-quote auf mindestens sechs Prozent werben.
Düsseldorf im Mai 2021